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Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät

Chancengleichheit im Bildungssystem: Wie sich ein Mentorenprogramm auf die Schulwahl auswirkt

27.03.2023

Prof. Dr. Fabian Kosse hat zusammen mit Prof. Dr. Armin Falk von der Universität Bonn und Professorin Dr. Pia Pinger von der Universität Köln ein Paper erfolgreich eingereicht.

Prof. Dr. Fabian Kosse
Prof. Dr. Fabian Kosse (Bild: Universität Würzburg)

Prof. Dr. Fabian Kosse hat zusammen mit dem Verhaltensökonomen Prof. Dr. Armin Falk von der Universität Bonn und Professorin Dr. Pia Pinger von der Universität Köln ein Paper mit dem Originaltitel “Mentoring and schooling decisions: Causal evidence” erfolgreich beim Journal of Political Economy eingereicht. Das Journal of Political Economy gehört zu den fünf wichtigsten internationalen Zeitschriften in den Wirtschaftswissenschaften.

Mangelnde Chancengleichheit beim Zugang zu höherer Bildung führt zu einer Verfestigung sozialer Ungleichheit: Kinder mit geringem sozioökonomischem Status wechseln trotz gleichem Notenschnitt seltener aufs Gymnasium als privilegiertere Gleichaltrige. Mit einer einfachen Intervention in Form eines Mentorenprogramms lässt sich diese Lücke jedoch spürbar verringern.

Auch Deutschland setzt bei den weiterführenden Schulen auf ein mehrgliedriges System, bestehend aus Gymnasien und Gesamtschulen, an denen die allgemeine Hochschulreife erworben werden kann, sowie je nach Bundesland aus Haupt-, Real- und Sekundarschulen, die für eine nicht-akademische Berufsausbildung qualifizieren. Befürwortende halten diese Differenzierung für unverzichtbar, um eine leistungsgerechte Förderung zu gewährleisten. Kritisierende wenden ein, auf diese Weise werde schon in jungen Jahren soziale Ungleichheit zementiert.

In diesem Beitrag geht es darum, ob die Differenzierung tatsächlich leistungsgerecht ist, welche Rolle der familiäre Hintergrund spielt und wie sich Chancengleichheit wirksam fördern lässt.

Datengrundlage der Studie ist eine jährliche Befragung von rund 700 Familien aus dem Großraum Köln-Bonn mit unterschiedlichem sozioökonomischem Hintergrund, gemessen am Einkommen und Bildungsstand der Eltern sowie an deren Alleinerziehendenstatus. Das Besondere an dieser Erhebung: Eine zufällig ausgewählte Teilgruppe der Kinder aus den sozial benachteiligten Familien nahm im Grundschulalter ein Jahr lang an dem Mentorenprogramm „Balu und Du“ teil. Freiwillige Mentor:innen, meist Studierende, unternahmen mit den Kindern einmal pro Woche verschiedene Aktivitäten, z. B. gemeinsames Lesen, Sport und Kochen oder Zoobesuche.

Aufgrund der Randomisierung kann der kausale Effekt dieses Mentorenprogramms auf die Persönlichkeitsentwicklung und den schulischen Werdegang der teilnehmenden Kinder ermittelt werden. Hinsichtlich des Wechsels auf die weiterführende Schule gibt die jährliche Befragung der Kinder und ihrer Eltern nicht nur Aufschluss über die schulischen Leistungen und die gewählte Schulform, sondern auch über den zugrundeliegenden Entscheidungsprozess.

Die Auswertung zeigt zunächst: Die Wahrscheinlichkeit, aufs Gymnasium zu wechseln, ist für sozial benachteiligte Kinder um 31,1 Prozentpunkte geringer als für Gleichaltrige mit hohem sozioökonomischem Status. Dieser Befund allein ist noch kein Beleg für mangelnde Chancengleichheit, zumal die Diskrepanz auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen sein kann, etwa auf Unterschiede in der Leistungsbereitschaft. Vergleichen wir jedoch Kinder mit gleichem Notendurchschnitt, bleibt immer noch eine Differenz von über 21,7 Prozentpunkten. Die Lücke in der Wahrscheinlichkeit, das Gymnasium zu besuchen, bleibt auch mehrere Jahre nach dem Schulwechsel bestehen und vergrößert sich sogar leicht, was auf eine geringe Aufwärtsmobilität im Schulsystem hindeutet.

Verbessert das Mentorenprogramm die Chancen der teilnehmenden Kinder? Tatsächlich erhöht sich deren Wahrscheinlichkeit, aufs Gymnasium zu wechseln, um elf Prozentpunkte. Der Abstand zu Schüler:innen mit hohem sozioökonomischem Status schrumpft also um ein Drittel bzw. sogar um rund die Hälfte, wenn man den Notendurchschnitt berücksichtigt.

Dieser positive Effekt ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass es bei dem Mentorenprogramm gar nicht um eine gezielte Verbesserung der schulischen Leistungen ging, sondern vielmehr um die psychosoziale Entwicklung und „informelles Lernen“ im Sinne einer Erweiterung des persönlichen Horizonts. Aus früheren Auswertungen wissen wir beispielsweise, dass sich die teilnehmenden Kinder deutlich prosozialer verhielten, was für den späteren Bildungs- und Arbeitsmarkterfolg vorteilhaft ist. Eine Gymnasialempfehlung, bei der neben den Schulnoten auch die Persönlichkeit eine Rolle spielt, wird dadurch ebenfalls wahrscheinlicher.

Zudem erfüllen die Mentor:innen, die alle selbst Abitur gemacht und meist bereits ein Studium aufgenommen haben, eine wichtige Vorbildfunktion, gerade für Kinder aus eher „bildungsfernen“ Elternhäusern. Das führt zum einen dazu, dass diese Kinder eher eine Gymnasialempfehlung bekommen. Zum anderen sind die Eltern, die oft kaum Berührungspunkte mit einer akademischen Ausbildung hatten, dadurch eher geneigt, ihr Kind sogar auch entgegen einer anderslautenden Lehrer:innenempfehlung am Gymnasium anzumelden.

Führt dies womöglich dazu, dass die „falsche“ Entscheidung getroffen wird und die Kinder auf dem Gymnasium überfordert sind? Die Daten der Studie sprechen dagegen: Auch nach fünf bis sechs Jahren an der weiterführenden Schule kommt es bei den Absolvent:innen des Mentorenprogramms weder häufiger zu Nichtversetzungen oder zum Schulformwechsel, noch haben sie weniger Spaß an der Schule als andere Gymnasiast:innen.

Fazit: Die Studie liefert zwei Ergebnisse: Zum einen hängt die Wahl der weiterführenden Schule in hohem Maße vom sozioökonomischen Status der Eltern ab. Zum anderen lässt sich dieser Nachteil mithilfe von Interventionen im Kindesalter – wie dem hier untersuchten Mentorenprogramm – spürbar verringern. Ein solches Programm bleibt mit rund 1.000 Euro pro Kind und Jahr in einem überschaubaren Kostenrahmen und wäre relativ problemlos weiter ausbaubar. Angesichts der zu erwartenden Bildungsrenditen wäre das Geld nicht nur aus sozialpolitischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht eine lohnenswerte Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft.  

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