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Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät

Im Gespräch: Heute mit Prof. Dr. Frédéric Thiesse

18.03.2022

Interview mit Herrn Prof. Dr. Frédéric Thiesse, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik und Systementwicklung.

Foto von Prof. Thiesse
Prof. Dr. Frédéric Thiesse (Bild: Uni Würzburg) (Bild: Universität Würzburg)

In diesem Beitrag legen wir den Fokus auf Herrn Prof. Dr. Frédéric Thiesse, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik und Systementwicklung. Prof. Thiesse hat kürzlich einen Ruf der Universität Bamberg abgelehnt. Er bleibt unserer Fakultät erhalten. Das freut uns sehr und wir danken Prof. Thiesse auch im Namen unserer Studierenden für diese Entscheidung und natürlich auch für seine Bereitschaft, unsere Fragen zu beantworten.

Prof. Dr. Frédéric Thiesse ist am 07.05.1970 in Oullins/Rhône in Frankreich geboren. Nach Abschluss seines Wirtschaftsinformatikstudiums an der Universität in Mannheim war der deutsch-französische Wissenschaftler als Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Hubert Österle am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen beschäftigt. 2001 promovierte er im Fach Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Informationsmanagement, mit Auszeichnung.

Von 2000 bis 2003 leitete er die Software- und Methodenentwicklung des Technologie-Startups Intellion AG mit Sitz in St. Gallen und verstärkte anschließend bis 2009 zunächst als Nachwuchsdozent das Team von Prof. Dr. Elgar Fleisch am Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen und später dann als Assistenzprofessor.

2010 nahm Prof. Dr. Frédéric Thiesse den Ruf an die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg an und ist seitdem Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik und Systementwicklung. Einen weiteren Ruf an die Universität des Saarlandes lehnte er ab.

WiWi Fakultät: Sie haben soeben einen Ruf an die Universität Bamberg abgelehnt. Verraten Sie uns, was Sie bewogen hat, unserer Fakultät treu zu bleiben?

Prof. Thiesse: Für Würzburg sprechen zunächst eine ganze Reihe von Standortfaktoren, die mich bereits vor über 10 Jahren dazu bewogen haben, hierher zu kommen. Dazu zählen Würzburgs Position als drittgrößter bayerischer Universitätsstandort ebenso wie die thematische Breite einer Volluniversität mit zehn unterschiedlichen Fakultäten, aber auch völlig nicht-akademische Aspekte wie die verkehrsgünstige Lage auf der Landkarte und das – meistens jedenfalls – angenehme Klima einer Weinregion. Den Ausschlag für meine Bleibeentscheidung hat schlussendlich aber die Entwicklung der letzten Jahre gegeben, Forschung in den Bereichen der künstlichen Intelligenz und der sog. „Data Science“ im Rahmen des Center for Artificial Intelligence and Data Science (CAIDAS) fakultätsübergreifend zu institutionalisieren und darüber hinaus auch personell zu verstärken, unter anderem auch an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Die kritische Masse an thematisch anknüpfungsfähigen Forschungseinheiten, die hier entsteht, macht die Julius-Maximilians-Universität langfristig sehr attraktiv.

WiWi Fakultät: Geben Sie uns bitte einen Einblick, mit welchen Forschungsthemen Sie sich in den nächsten Monaten und Jahren vertieft befassen wollen.

Prof. Thiesse: In der Wirtschaftsinformatik beschäftigen wir uns mit der ökonomischen Wirkungsmacht von Informations- und Kommunikationstechnologien im Wechselspiel mit Organisationen und individuellem Verhalten. Die wissenschaftlichen Herausforderungen ergeben sich neben der Komplexität entsprechender Technologien per se vor allem durch ihren Charakter als Querschnittstechnologie mit zahllosen Anwendungsbereichen sowie der auch gegenüber anderen Technologien sehr hohen Innovationsrate. Künstliche Intelligenz, insbesondere das maschinelle Lernen, ist hier ein ebenso extremes wie auch interessantes Beispiel. Derzeit werden in Forschung und Praxis viele Einzelanwendungen diskutiert, aber das „big picture“, welches die ökonomische Natur dieser Technologie beschreibt, haben wir nicht. Ist KI nur eine Automatisierungstechnik? Wenn nein, welche weiteren Effekte im positiven wie auch negativen Sinn ergeben sich aus dem betrieblichen Einsatz? Und welche Rolle spielen begleitende Einflüsse wie bspw. die Akzeptanz durch die betroffenen Personen? Sehr wichtig erscheint mir auch die Frage nach der industriellen Nutzung von KI im Unternehmen. Maschinelles Lernen ist ein neues Paradigma zur Entwicklung von Informationssystemen. Betrieben wird diese Entwicklung aber bisher noch auf einem Niveau wie die klassische Softwareentwicklung vor 50 Jahren. Methoden und Werkzeuge für die KI-gestützte Systementwicklung sind daher ein weiteres Thema, das mir für die nächsten Jahre viel Potenzial verspricht.

WiWi Fakultät: Die Corona-Pandemie hat die Lehre an den Hochschulen massiv beeinflusst und digitale Angebote gefördert. Wie sollte Ihres Erachtens die Lehre der Zukunft aussehen?

Prof. Thiesse: Darauf gibt es keine pauschale Antwort, die für alle Fächer gleichermaßen gültig wäre. Klar ist aber, dass Digitalisierung nicht auf wundersame Weise ausgerechnet vor der Hochschulbildung Halt machen wird und dass manche Bildungsformate bzw. -inhalte prädestiniert dafür sind, digitalisiert zu werden. Nutzenpotenziale gibt es viele, bspw. eine höhere Skalierbarkeit und Reichweite für unsere Angebote oder eine stärkere Individualisierung der Lehre. Dies gilt auch und vor allem für ein Fach wie die Wirtschaftswissenschaften. Digitalisierung darf aber kein Selbstzweck sein und auch nicht als ein rein technisches Thema missverstanden werden, sondern muss mit einem inhaltlich-methodischen Konzept einhergehen. Wir dürfen uns aber auch nicht nur auf einer Mikroebene mit Digitalisierung in der Lehre beschäftigen und müssen stets die Veränderung der Bildungslandschaft insgesamt durch „Education Technologies“ (EdTech) im Auge behalten. Das Schicksal der deutschen Großbanken, die sich jahrzehntelang inmitten staatlicher Regulierung ohne Innovationsdruck behaglich eingerichtet haben und nun in allen Bereichen von einer neuen Kategorie digitaler, agilerer Wettbewerber bedrängt werden, sollte eine Warnung sein.

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