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Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät

Nachgefragt: „Zuwanderung nach Deutschland – Wie kann Zuwanderung vom Problem zur Chance werden?“

28.12.2023

Kriege, Naturkatastrophen, Korruption – es gibt viele Gründe, wieso Menschen ihre Heimat verlassen. Aus ihrer Sicht ist das legitim und nachvollziehbar.

Dr. Judith Saurer
Dr. Judith Saurer (Bild: privat)

Kriege, Naturkatastrophen, Korruption – es gibt viele Gründe, wieso Menschen ihre Heimat verlassen. Aus ihrer Sicht ist das legitim und nachvollziehbar. Die Flucht ist oft illegal, teuer, lebensgefährlich und endet nicht selten mit dem Tod. Diejenigen, die es überlebt haben, hängen oft in Auffanglagern fest. Untragbare Zustände, Anfeindungen und Zurückweisungen sind an der Tagesordnung.

Welche Lösungsvorschläge hat unsere Expertin? Wir haben nachgefragt bei Dr. Judith Saurer. Frau Saurer hat nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre einen europäischen Master in Recht und Ökonomie absolviert und an der LMU in München und am ifo Institut promoviert. Vor 5 Jahren ist sie als PostDoc an den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Arbeitsmarktökonomie, unserer Fakultät gekommen. Nach dem Weggang der Lehrstuhlinhaberin Prof. Felfe, hat sie zum Lehrstuhl für Data Science in Business and Economics gewechselt. Ab 1. März 2024 wird sie die Professur für Volkswirtschaftslehre und empirische Wirtschaftsforschung an der TH Würzburg-Schweinfurt antreten.

 

WiWi Fakultät: Könnte nicht eine win-win-Situation entstehen, wenn insbesondere die vielen jungen Geflüchteten beispielsweise die Chance auf einen Ausbildungsplatz im Handwerk erhielten?

Dr. Saurer: Ein Ausbildungsplatz, unabhängig von der Branche – sei es im Handwerk, im Service oder im Handel – hätte sowohl für Flüchtlinge als auch für Unternehmen zahlreiche Vorteile. Flüchtlinge könnten sofort ein Einkommen durch die Ausbildungsvergütung erzielen, und durch die Kombination von Lehre in Schule und Unternehmen sind die Hürden des Zuganges auf den Arbeitsmarkt geringer. Langfristig könnten sie nicht nur einen stabilen Arbeitsplatz erhalten, sondern auch ein Diplom einer abgeschlossenen Ausbildung vorweisen. Unternehmen in Deutschland, die derzeit Schwierigkeiten haben, Auszubildende zu finden, könnten von einer Vergrößerung des Bewerberpools profitieren. Trotz der potenziellen Vorteile für beide Seiten traten z. B. Flüchtlinge aus der Flüchtlingswelle 2015/2016 nur in geringem Maße in Ausbildungen an.

In unseren Studien haben wir sowohl Flüchtlinge als auch Arbeitgeber zu einem potenziellen Ausbildungsplatz für Auszubildende mit Fluchthintergrund befragt. Beide Seiten zeigten Interesse, jedoch gibt es auch Hindernisse. Für Flüchtlinge stellt die lange Ausbildungszeit und das geringe Ausbildungsgehalt ein Problem dar. Arbeitgeber sahen sich mit Unsicherheiten konfrontiert, wie zum Beispiel der Frage, wie lange Flüchtlinge im Land bleiben (dürfen) oder inwieweit sich Flüchtlinge im Unternehmen integrieren würden. Natürlich sind auch Sprachbarrieren sowohl für Flüchtlinge als auch für die Unternehmen ein nicht zu unterschätzendes Problem. Sprachbarrieren könnten mit einer vorgeschalteten Sprachschule minimiert werden, beispielsweise einen halben Tag Schule und einen halben Tag Praktikum im künftigen Ausbildungsbetrieb. Tatsächlich gibt es bereits Modell-Projekte, die ein Jahr berufsspezifische Sprachkurse der Ausbildung voranstellen. Flüchtlinge empfanden diese Option als wenig attraktiv, da sie faktisch die Dauer ihrer Ausbildung um ein weiteres Jahr verlängern würde. Die Unternehmen, die wir befragt haben, fanden diese Möglichkeit jedoch äußerst interessant und könnten sich daher vermehrt vorstellen, Flüchtlinge für eine Ausbildung einzustellen. Leider handelt es sich derzeit noch um Modellprojekte, die nicht flächendeckend umgesetzt werden.

WiWi Fakultät: Wäre es nicht sinnvoll, wenn bereits zugewanderte Menschen mit einer Ausbildung in ihrem Heimatland eine Arbeitserlaubnis erhielten?

Dr. Saurer: Das Problem ist bedauerlicherweise facettenreich. Flüchtlinge erhalten erst nach abgeschlossenen Asylverfahren oder spätestens neun Monate nach Stellung des Asylantrags eine Arbeitserlaubnis. Studien belegen jedoch, je früher eine Arbeitserlaubnis vorliegt, desto besser funktioniert die Integration – nicht nur auf dem Arbeitsmarkt. Die Anerkennung von Abschlüssen oder Zertifikaten in Deutschland ist zeitaufwendig und verläuft nicht immer positiv, was ein weiteres Hindernis darstellt. Zudem existiert in vielen Herkunftsländern kein Ausbildungssystem, das dem deutschen entspricht. Daher ist es schwierig festzustellen, welche Qualifikationen bereits vorhanden sind und welche nicht. Dennoch herrscht Einigkeit darüber, dass eine schnellere und effektivere Integration von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt notwendig ist. Insbesondere für junge Menschen stellt der Einstieg über eine Ausbildung einen erfolgversprechenden Weg dar.

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